Ein historisches Bürogebäude in Wilmersdorf, Berlin. Draußen vor den Fenstern graupelt es an diesem grauen Novembervormittag. Bonjour, Hauptstadttristesse. Drinnen herrscht dagegen Partylaune. In einem holzvertäfelten Studioraum starren 15 Erwachsene gebannt auf Zeichentrickfiguren und quietschen Sätze wie „Internet? Naja, mal abwarten, ob sich das durchsetzt“ in ein Mikrofon. Disney hat Journalisten und Influencer eingeladen, bei den Synchron-Aufnahmen für das neue Animationsabenteuer „Chaos im Netz“ mitzumachen. Der Nachfolger von „Ralph reicht’s“ entführt die Hauptfiguren Ralph und Vanellope in die knallbunten Weiten des Internets.
Das Setting ist eine Steilvorlage für Späße: Selten war ein Disneyfilm so randvoll mit Gags. Suchmaschinen, Pop-up-Blocker und auch der Micky-Maus-Konzern selbst werden zünftig auf den Arm genommen. Ebenso Internetuser und wie schon im ersten Film die digitalen Figuren, die sich tagein, tagaus in Computerspielen durch Gamer ferngesteuert abrackern müssen. Diese wild gemischte Mannschaft aus rennfahrenden Kindern, stiernackigen Wrestlern und pixeligen Hochhausbewohnern bekommt nun ihre deutschen Stimmen verpasst.
Synchron-Regisseur Marcel Collé – selbst erfahrener Sprecher und die deutsche Stimme von Ashton Kutcher und Aaron Paul – führt die ebenso wilde und enthusiasmierte Gruppe von Journalisten und Amateur-Sprechern geduldig und mit Humor durch die Aufnahmen. „Das hatte fast zu viel Energie, Ihr habt ja richtig Lust“, manövriert er die Anwesenden von „müde und erschöpft am Ende eines langen Arbeitstages“ hin zu „euphorischem Torjubel, Impuls bitte vorne“.
Es wird viel improvisiert, denn das Skript für die Game-Charaktere sieht keine festen Textzeilen vor. Herausfordernde Übung. Erstaunlich, wie leer der Kopf werden kann, wenn das rote Licht für „Aufnahme“ angeht. Mit Glück purzeln Sätze wie „Ich hab keine Lust mehr auf Jump&Run“ oder „Leute, ich hab den High Score geknackt“ über die Lippen. Zwischendrin wird viel gelacht und geblödelt, und es stellt sich schnell stimmlicher Teamgeist ein. Damit schaffen die Gäste es, das Geschnatter der digitalen Filmhelden in Tonlage und Stimmung so abzuliefern, wie es der Regisseur haben möchte. Aber wehe, jemand sagt „Mein Gott, ich bin so verdammt müde“ ins Mikro. Denn religiöse Bezüge und Flüche sind Tabu. Der Satz „Hab ich ein ‚Oh Gott‘ gehört?“ aus dem Regieraum bedeutet: alles von vorne.
Nach fast zwei Stunden sind die Massenszenen augezeichnet. Sogar der Einzelauftritt „peinlich berührtes Räuspern“ – an dem sich drei Kollegen versuchen – ist nach gefühlten 20 Versuchen endlich fertig. Vermutlich weniger aus Brillanz der Räuspernden, sondern mehr aus Pragmatismus des Regisseurs. „Das schieben wir dann nach hinten“, sagt Collé. Man kann nur vermuten, dass er von digitaler Zauberei spricht, die ein zunehmend unsicher hingekrächztes Allerweltsräuspern in etwas klanglich Bedeutungsvolles verwandeln wird.
Anzunehmen, dass die restliche Synchronisation des Films durch gestandene Schauspieler wie Anna Fischer (Vanellope) etwas gesitteter ablief. Wenn dabei auch der Spaß an der Freude der Journalistenszene zu spüren war, bekommt der Film die Stimmung des Originals – und wird auch auf Deutsch zu einem der lustigsten Disneyfilme jemals.
Entsprechend euphorisiert verabschiedet man sich gegen Mittag, und fiebert dem Filmstart am 24. Januar 2019 entgegen. Vielleicht, ganz vielleicht, wird man die eigene Stimme im Kino hören können.
Draußen stößt die Sonne durch die Wolken. Wilmersdorf strahlt.